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Sachbuch der Woche: „Eine italienische Reise“

Woher kommt eigentlich das Instrument, auf dem ich täglich übe? Diese Frage nimmt Bestsellerautor Philipp Blom zum Anlass, sich in "Eine italienische Reise" auf die Spuren eines Auswanderers zu begeben, der vor 300 Jahren seine Geige baute. Durch den persönlichen Ansatz ist eine spannende und bildhaft erzählte Kulturgeschichte des Geigenbaus entstanden.

Manchmal liegt Geschichte näher als man denkt, zum Beispiel in dem Instrument, was man spielt. "Woher kommt eigentlich meine Geige?" Diese Frage stellte sich eines Tages Philipp Blom, der als Kind liebend gern Violinist geworden wäre. Aus Vernunftgründen entschied er sich dann aber für die Geschichtswissenschaften und ist heute Autor einiger Bestseller, unter anderem von "Der taumelnde Kontinent", "Die Welt aus den Angeln" oder zuletzt "Was auf dem Spiel steht". Doch die Frage "Woher kommt eigentlich meine Geige?" hat Philipp Blom nicht losgelassen und ist Thema seines neuesten Buches.

Fast wie bei Goethe

Unweigerlich denkt man bei "Eine italienische Reise" an Goethe und seinen Klassiker der Reiseliteratur. Doch bei Philipp Blom ist diese Reise mehrdeutig zu verstehen. Denn nicht nur er selbst reist nach Italien, genauer gesagt nach Venedig, weil er glaubt, dass seine Geige dort Anfang des 18. Jahrhunderts hergestellt wurde. Zugleich erzählt Philipp Blom auch von einem jungen Mann aus Füssen im Allgäu, von dem er annimmt, dass dieser vor 300 Jahren nach Italien ausgewanderte, um dort das Handwerk beziehungsweihe die hohe Kunst des Geigenbaus zu erlernen. Philipp Blom nennt diesen Mann Hanns, ob er allerdings wirklich so hieß, das ist bis zum Schluss offen.

Von Füssen nach Venedig

Zunächst hat Philipp Blom nur wenige Anhaltspunkte, woher genau seine Geige stammen könnte und wer sie gebaut hat. Alles, was er weiß, ist, dass es ganz sicher keine Stradivari ist und auch sonst kein Modell, das sich auf den ersten Blick einem berühmten Geigenbauer zuordnen lässt. Deshalb berät sich Philipp Blom mit Experten, die ihm Hinweise darauf geben, dass das Instrument in seiner Bauweise sowohl deutsche als auch italienische Merkmale aufweist, zum Beispiel in der Art wie das Holz bearbeitet und geformt ist.

Philipp Blom schließt daraus, dass sein Geigenbauer vermutlich aus Füssen kam, im 17. und 18. Jahrhundert ein wichtiges Zentrum für den Bau von Lauten und Geigen, und dass er von dort höchstwahrscheinlich über die Alpen nach Italien gezogen ist. So wie es viele junge Männer aus Füssen gemacht haben, lag dort doch zu der Zeit der größte Absatzmarkt für Streichinstrumente. Allein Venedig verfügte über 14 Opernhäuser mit unzähligen Musikern. Um diese Wanderbewegung von Instrumentenbauern anschaulich zu machen, erfindet Philipp Blom sich eben jenen Hanns, um in die Geschichte des Geigenbaus einzuführen.

"Jedes Mal, wenn mich meine Geige zur Hand nahm, fühlte ich, dass ich jemandem begegnete: einem Menschen, der vor zehn Generationen gelebt und etwas erschaffen hatte, das auch nach so langer Zeit noch immer seine Stimme erheben und die Menschen berühren konnte. Die Resonanzen, die ich heute hörte, hatte auch der Unbekannte einst gehört, er hatte das Holz so lange bearbeitet, bis es diesen Klang erreicht hatte, mit warmen, lebenden Händen. Das ist es, warum ich Historiker geworden war. Die Finger vergangener Leben griffen nach mir. "

Eine Kulturgeschichte des Geigenbaus

Der besondere Reiz dieses Buch liegt in seiner Form. Philipp Blom kann sehr bildhaft erzählen und tut zugleich etwas, was vor allem im englischsprachigen Raum schon lange üblich ist, was man aber auch immer häufiger in Sachbüchern deutscher Historiker antrifft. Er berichtet nämlich nicht nüchtern von historischen Ereignissen, sondern bettet sein Thema in eine persönliche Geschichte ein. So erfahren wir nicht nur Wissenswertes über Instrumente und deren Erbauer, sondern begleiten Philipp Blom unter anderem in die Wiener Werkstatt, in der er die Geige, um die es geht, gekauft hat. 

Er erzählt, wie er als kleiner Junge stundenlang übt und dann aber feststellen muss, dass sein Talent nicht reicht, was Philipp Blom ganz offensichtlich bis heute schmerzt, schließlich waren seine Eltern Musiker. Außerdem erfahren wir, wie ihm einmal eine andere, sehr teure Geige gestohlen wird und wir lesen über schicksalshafte Momenten im Leben von Philipp Blom, in denen die Musik von Johann Sebastian Bach eine wichtige Rolle spielt. Durch das Buch zieht sich so neben der kulturhistorischen immer auch eine gegenwärtige persönliche Ebene. Die ist an manchen Stellen sehr berührend, weil sie wie ein klassisches Drama von Leid und Leidenschaft erzählt.


Bogen in die Gegenwart

Der Bezug zur Gegenwart liegt schließlich bereits im Titel verborgen: "Eine italienische Reise. Auf den Spuren des Auswanderers, der vor 300 Jahren meine Geige baute". Es ist eben ein Auswanderer, jener fiktive Hanns, den sich Philipp Blom hier imaginiert, der von Füssen nach Italien zieht, weil er sich dort ein besseres Auskommen, bessere Perspektiven erhofft. Von der idyllischen Kleinstadt geht er in eine damals brodelnde Metropole und erweitert so seinen Horizont erheblich. Immer wieder weist Philipp Blom darauf hin, dass seine Geige das Produkt einer deutsch-italienischen Zusammenarbeit ist. Gerade deshalb hat sie wohl diesen warmen Klang, den er so liebt.

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