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"Wir wollen eigentlich keine Zukunft"

Deutschlandfunk | Peter Kapern

Massiver Jobverlust durch Digitalisierung, Migrationsbewegungen infolge des Klimawandels - vor diesen historischen Herausforderungen stehe unsere Gesellschaft, sagte der Historiker Philip Blom im Dlf. Wir müssten jetzt "die Initiative ergreifen", anstelle diese Veränderungen "nur zu erleiden".

Peter Kapern: Es ist ja durchaus ein Aufatmen zu spüren: Die rechtsextreme Marine Le Pen ist nicht in den Élysée-Palast eingezogen, in Holland regiert Geert Wilders nicht mit, die AfD ist im Sinkflug, und selbst Donald Trump hat es im ersten halben Jahr im Weißen Haus nicht geschafft, die Welt zu ruinieren. Vor sechs Monaten noch wurde die bange Frage gestellt, ob das Konzept der liberalen, pluralistischen Demokratie gescheitert ist, weil ihm die Unterstützer von der Fahne gehen. Mittlerweile sieht es nicht mehr gar so düster aus, aber ist die Krise der liberalen Demokratie damit wirklich überwunden? Keinesfalls, wenn man dem Historiker Philipp Blom glaubt. Guten Morgen, Herr Blom!

Philipp Blom: Guten Morgen, Herr Kapern!

"Veränderung bedeutet für uns Verschlechterung"

Kapern: Herr Blom, ich versuche mal, eine These Ihres neues Buchs, das ab heute erhältlich ist, auf den Punkt zu bringen: Die Menschen stehen wegen der Digitalisierung und des Klimawandels unter einem gigantischen Veränderungsdruck, gleichzeitig haben sie nach der Finanzkrise von 2008 die Hoffnung verloren, dass sie noch einen fairen Anteil vom Wohlstand abbekommen, und deshalb hegen sie eine Sehnsucht nach autoritärer Führung, rückwärtsgewandter Politik. Passt das so ungefähr?

Blom: So ungefähr passt das, ja. Ich glaube, was ich der These vielleicht noch zufügen möchte: Unsere Gesellschaften, wir wissen im Prinzip, dass Veränderung für uns Verschlechterung bedeuten wird, und deswegen wollen wir eigentlich keine Zukunft, wir wollen nur, dass die Gegenwart nicht aufhört, und ich glaube, das ist eine ziemlich problematische Haltung.

Kapern: Warum?

Blom: Na ja, weil eine Gesellschaft, die keine Zukunft mehr hat, die keine Hoffnung mehr hat darauf, etwas Besseres konstruieren zu können, der geht so ein bisschen die Puste aus.

"Wir haben noch eine dicke Fettschicht"

Kapern: Sie sprechen von einem Schnellzug nach Weimar – so heißt sogar eines der Kapitel in Ihrem Buch. Weimar, das steht ja für den Triumph der Rassisten, Nationalisten und der Autoritären, weil der Demokratie die Unterstützer abhanden kommen, und Sie schreiben sogar von einem globalen Weimar. Stehen wir in der Tat da am Eingangstor zu einem neuen Weimar?

Blom: Na ja, erst mal auch, wenn man am Eingangstor zu irgendwas steht, kann man immer noch rechts oder links abbiegen, aber ich glaube schon … Ich werde oft gefragt, sind wir wieder in einer Zeit der Weimarer Republik mit öffentlicher Unruhe und Misstrauen in die Demokratie, und nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, wir haben noch zu robuste Zivilgesellschaften, zu starke Institutionen, und wir sind auch einfach noch zu reich. Wir haben sozusagen noch eine dicke Fettschicht zwischen uns und revolutionärem Verhalten, aber gleichzeitig leben wir in einer Zeit mit völlig deregulierten Finanzmärkten, in denen die nächste Krise eigentlich nur eine Frage der Zeit ist, und wenn das kommt, wenn unsere Länder, unsere Gesellschaften nicht mehr reich genug sind, diese Probleme abzufedern, dann kann tatsächlich, glaube ich, alles passieren.

"Ihr seid gar keine Bürger, ihr seid Konsumenten"

Kapern: Das globale Weimar lässt sich also nur verhindern, wenn die Digitalisierung – damit greife ich noch mal die erste These auf – mit ihren gigantischen Arbeitsplatzverlusten und der Klimawandel, der enorme Migrationsbewegungen verursacht, bewältigt werden. In Ihrem Buch zeigen Sie sich nun extrem skeptisch, dass das den liberalen Demokratien auch tatsächlich gelingen kann. Warum?

Blom: Na ja, ich glaube, diese Skepsis kommt ganz einfach daher: Wir haben Menschen über 30 Jahre oder mehr erzählt, ihr seid gar keine Bürger, ihr seid eigentlich Konsumenten, eure patriotische Pflicht ist, so viel Zeug zu kaufen wie möglich und das zu verbrauchen, denn dann boomt die Wirtschaft, und nur wenn die Wirtschaft boomt, dann wird alles gut, und diese Tatsache, dass wir uns als Gesellschaften so in eine Wachstumsökonomie, in eine Wachstumswirtschaft eingeschlossen haben, das ist, glaube ich, sehr problematisch, denn dieses Wachstum, das werden wir nicht endlos durchhalten können. Uns gehen die Rohstoffe aus oder sie werden zu teuer und zu dreckig, und wir müssen uns tatsächlich Alternativen überlegen, und diese Alternativen gibt es, nur, wir müssen sie ergreifen, und ich glaube, es ist ganz wichtig zu begreifen, wenn man Digitalisierung sieht, die vielen Menschen die Jobs kosten wird, und wenn man den Klimawandel ansieht, das sind Veränderungen, die passieren. Die fragen auch nicht danach, ob wir das gut finden. Die finden bereits statt. Wir aber haben jetzt noch die Möglichkeit, diese Veränderungen in einer gewissen Weise zu gestalten und nicht nur zu erleiden, aber dann müssen wir auch jetzt diese Initiative ergreifen und nicht warten, bis diese Sachen so drastisch werden, dass wir eigentlich nicht mehr sinnvoll auf sie reagieren können.

Kapern: Aber noch mal nachgefragt, Herr Blom: Warum sind Sie so skeptisch, dass das ausgerechnet den Modellen einer liberalen Demokratie gelingt, diesen Kurswechsel herbeizuführen und den Leuten wieder Hoffnung zu geben, und zwar einem Wandel beizusteuern?

Blom: Weil wir diesen Wandel in unseren Gesellschaften im Moment noch nicht sehen und weil wir auch, glaube ich, das Gespräch in weiten Gesellschaftsschichten noch gar nicht sehen. Wissen Sie, ich gebe eine Menge Vorträge und ich fahre zu Festivals und zu Konferenzen und so, und dort sieht man immer dieselben netten, liberalen, gebildeten Menschen, die sich Sorgen machen über so etwas, aber unsere Gesellschaften als Ganzes, die sind mit ganz anderen Themen beschäftigt, und wir müssen diese Diskussion ausweiten über die wenigen hinaus, und wir müssen tatsächlich auch Bewusstsein schaffen, dass diese Veränderungen passieren und dass es eine historische Herausforderung ist. Wir sind, ob wir es wollen oder nicht, eine Generation, deren Entscheidungen auf viele Generationen hinaus wirken werden.

"Diktatur ist nicht die Antwort"

Kapern: Sind denn Ihrer Meinung nach autoritäre Gesellschaftsmodelle besser geeignet, diesen Herausforderungen gewachsen zu sein?

Blom: Das sind sie historisch weder moralisch noch, sagen wir: wirtschaftlich oder tatsächlich. Ich meine, das sehen wir jetzt mit Donald Trump wieder, autoritäre Züge reinkommen und die eigentlich alle sehr zerstörerisch sind. Nein, also jeder Diktator hat einen dummen Sohn und eine törichte Tochter und einen ehrgeizigen Berater. Diktatur ist nicht die Antwort. Autoritarismus ist nicht die Antwort. Wir müssen das schon in demokratischen Zusammenhängen schaffen, und wir müssen vielleicht auch die Demokratie neu definieren, denn es ist, glaube ich, deutlich, dass in Zeiten, wo immer mehr Macht, immer mehr Daten, immer mehr Information und so weiter in immer weniger Hände konzentriert werden durch die Digitalisierung, wo unsere Information völlig verändert wurde durch soziale Netzwerke, dass da auch sich unsere Strukturen anpassen müssen. Die Strukturen, die sich Gesellschaften geben, haben immer schon sehr viel zu tun gehabt mit den Technologien, die diese Gesellschaften nutzen. Denken wir nur an den Buchdruck und was der verändert hat, und ich glaube, so eine Veränderung steht wieder an.

"Wer ist wichtig für eine Gesellschaft?"

Kapern: Jetzt machen Sie uns doch mal ein wenig den Mund wässrig: Wie würden diese modernen, diese neuen Strukturen aussehen können, die den Herausforderungen durch Digitalisierung und Klimawandel gewachsen sind?

Blom: Na ja, erst mal kommt dann die große Debatte. Entschuldigung, ich habe irgendwas in der Kehle. Erst mal kommt dann die große Debatte zum Beispiel um ein unbedingtes Grundeinkommen. Die Digitalisierung wird vielen Menschen die Jobs kosten und zwar nicht nur Taxifahrern und Lastwagenfahrern, sondern auch den Steuerberatern, Anwälten und Chirurgen. Also das geht quer durch die Gesellschaft, und dann muss man natürlich fragen, wenn Menschen keine Erwerbsarbeit mehr haben, erstens, wovon leben sie, das heißt, brauchen sie ein Grundeinkommen. Seltsamerweise sowohl Ökonomen von rechts als auch von links sagen ja, und zweitens, und das ist vielleicht noch die interessantere Frage, wie definieren wir uns eigentlich, wenn wir uns nicht mehr über unsere Arbeit definieren. Was macht jemanden wertvoll für eine Gesellschaft, wer ist wichtig für eine Gesellschaft, und wie bestimmen wir das. Das sind Fragen, die auch zu uns kommen werden, und ja, da ist auch ein echtes utopisches Potenzial drin.

Man kann sagen, noch Abraham Lincoln hat geglaubt, dass Erwerbsarbeit eigentlich eine Form von Sklaverei ist, die man aufhören müsste, und wenn wir tatsächlich aus dieser Sklaverei wegkommen und sozusagen ganz neu Kontrolle über unser Leben ausüben können, arbeiten können, was wir wollen und wie viel wir wollen, das klingt nach einer schönen Utopie, aber es hat natürlich riesige Probleme. Erst mal müssen wir noch viele Menschen davon überzeugen, die sagen, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, aber darauf ist die Antwort: Wenn aber jemand nicht mehr arbeiten kann, soll er dann auch nicht essen.

Aber zum Zweiten sind einfach auch sozusagen Systemprobleme zu lösen. Wir wissen noch nicht, wie das geht, wir wissen noch nicht, welches Modell das Beste ist, und ich glaube, wir werden ganz viel ausprobieren müssen, einfach weil Veränderungen passieren. Diese Veränderungen sind enorm, und sie finden statt. Stellen Sie sich den Klimawandel vor. Als ich dieses Buch schrieb im Februar, war es am Nordpol so warm wie in Berlin, und das wird nicht nur Millionen von Migranten schaffen, es wird auch ganze Gesellschaften zerstören. Es wird unsere Rohstoffzufuhr und unsere Wirtschaftsverbindungen verändern, und wir müssen uns darüber Gedanken machen, während all das noch nicht passiert ist und nicht erst im Nachhinein.

Kapern: "Was auf dem Spiel steht", so heißt das neue Buch des Historikers Philipp Blom. Erschienen ist es im Hanser Verlag. Herr Blom, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Blom: Danke Ihnen und guten Morgen nach Nordrhein-Westfalen!

Kapern: Danke sehr!

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